Rosa
Roman
Rosa müsse wieder fühlen, sagt Marlene. Sich wieder der Vielschichtigkeit des Lebens zuwenden.
Rosa sagt, sie fühle sich gut in der Bedürfnislosigkeit, im Putzen läge genug Sinnhaftigkeit, sie wolle es nur noch mit dem sichtbaren Dreck zu tun haben.
Marlene sagt, sich in der Komfortzone der totalen Anspruchslosigkeit einzurichten, sei nicht Rebellion, sondern Resignation.
Das sage die Richtige, meint Rosa dazu. Marlene sei noch jung, könne sich ja nichtmal entscheiden, ob sie Mann oder Frau sein wolle; im Übrigen sei es ihr nie um Rebellion gegangen, sondern sie habe es schlicht nicht mehr ausgehalten, das verlogene Spiel weiter mitzuspielen.
Man könne nicht aussteigen, ohne nicht automatisch woanders einzusteigen, meint Marlene. Und sich einfach von der ersten in die dritte Klasse zu begeben, bringe sie weder der Wahrheit näher, noch nütze es denen, die dort unten ohnehin feststeckten.
Sie sei nie in der ersten Klasse gewesen, meint Rosa. Und wer sage denn, dass die dritte Klasse das Ende vom Lied sei. Und jeder müsse sich eben selber helfen.
Rosa müsse wieder lernen, zu lieben, sagt Marlene.
Die Liebe existiere höchstens für einen flüchtigen, verlogenen Moment, sagt Rosa.
Dann könne sie mit ihr nicht leben, sagt Marlene, und geht.
1
Obwohl es viele Arten von Schmutz gibt und mindestens genauso viele Weisen, ihn zu betrachten, ist er für die meisten Menschen keine besonders komplexe Angelegenheit. Auch Rosa hatte Schmutz schon früher als etwas einfach Beherrschbares betrachtet. Eines der Probleme, die einen nicht besonders beschäftigten und deren Lösung auf der Hand lag; Putzen hatte eine eher nebensächliche Rolle in ihrem alten Leben gespielt. Aber als dann alles inklusive ihrer selbst auseinanderzufallen drohte, wurde die Beseitigung von Schmutz, insbesondere dem der anderen Leute, zu ihrer Rettung, denn es war genau das, was sie noch zu leisten in der Lage war: Jeden Tag vor keiner anderen Herausforderung zu stehen als der, eine fremde Wohnung zu betreten und zu wissen, was zu tun war; was mal mehr und mal weniger offensichtlich war, aber letztlich im Wesentlichen immer gleich ablief: Die entsprechenden vom jeweiligen Haushalt vorgesehenen Substanzen und Geräte aus Kammern, Ecken, Besenschränken holen. Herumliegendes an dafür vorgesehene Plätze